– grundlos geächtet, vom Aussterben bedroht
Angst haben wir – vor Terroranschlägen, vor Krebs, vor Umweltzerstörung, vor Impotenz und Inkontinenz. Wahnsinnige Angst. Doch der wahre Anlass, sich maßlos zu fürchten, sind nach wie vor Vampire. Diese düsteren, blutsaugenden Gestalten aus Transsilvanien werden unterschätzt. Manche glauben, sie seien schlicht eine Erfindung einfallsloser Hollywoodautoren, andere wiederum glauben, sie seien im 2. Weltkrieg ausgerottet worden. Doch man irrt sich. Es gibt sie noch, die schwarz gekleideten Diener der Unterwelt, die nachtaktiven Horrorwesen. Nicht nur in Transsilvanien, nein, überall. Vereinzelt, aber genau so aktiv, wie zu Ihrer Hochzeit im frühen Mittelalter.
Da Sachen, die nicht akut vom Aussterben bedroht sind oder nichts mit viel Geld, Macht und Sex zu tun haben, völlig uninteressant sind, widmen wir uns einer besonderen Art der transsilvanischen Schreckensbrut. Diese haben zwar auch nichts mit Geld, Macht und Sex zu tun (außer, dass ihnen all dies fehlt), aber hochinteressant sind sie dennoch: weiße Vampire.

Pure Verfolgungslust
Ende des 15. Jahrhunderts sammelten sich aus ihren Clans vertriebene Vampire auf dem hessischen Vogelsberg und entkamen so dem grausamen Hinrichtungstod durch ihre Clan-Ältesten. Die Geflohenen waren meist römisch-katholischen Glaubens, aber auch evangelische Christen, Freimaurer und Staatsanwälte waren unter ihnen.
Durch die jahrzehntelange Isolation und die widrige Witterung passte sich das Erbgut dieser hoch oben im Schnee lebenden Außenseiter-Vampire an. Sie verloren ihren Durst nach Blut und ernähren sich rein vegetarisch, sie wurden tagaktiv (was die Jagt auf diese Geschöpfe ungemein vereinfacht), sie tauschten die – vor allem im Schnee – auffällige schwarze Bekleidung gegen weiße (sie sind keine Albinos, wie oft vermutet) und die Fortpflanzung geschieht ausschließlich durch Zellteilung, denn Inzucht wurde auch auf dem Vogelsberg von den Vampiren strikt vermieden, im Gegensatz zu den Menschen in den umliegenden Dörfern.

Im Laufe der Jahrzehnte waren die weißen Vampire zwingend darauf angewiesen, sich zwecks Nahrungssuche in die Täler zu begeben. Obwohl die weißen Vampire vollkommen friedlich waren und in teils überregional angelegten Imagekampagnen ihre Sympathie zu den Menschen verdeutlichten, waren sie nur ungern gesehen. Man verweigerte ihnen die Arbeit und man pferchte sie in verwahrlosten Stadtteilen zusammen.

Das große Pech der weißen Vampire war ihre leichte Erkennbarkeit, denn die spitzen Eckzähne hatte die Evolution ihnen nicht genommen. Durch die stetige Vertreibung haben sich die weißen Vampire weltweit verbreitet, immer auf der Suche nach Orten, an denen sie frei leben können. Gefunden haben sie diesen Ort nie – geächtet verstecken sie sich seitdem in Grotten, Wäldern und Kleingartenanlagen. Wird ein weißer Vampir entdeckt, droht ihm meist ein grauenvolles Schicksal. Sie werden gefoltert, auf offener See wie Dünnsäure verklappt, oft sogar erschossen und erschlagen – fast so grausam wie Babyrobben in Kanada. Die weißen Vampire würden die Ernte zerstören. Ganze Dörfer seien Hungertode gestorben, durch das vernichtende Machwerk der spitzbezahnten Pflanzenfresser. Sie würden doch Blut saugen. So und ähnlich lauten die Begründungen für den grausamen Umgang mit diesen friedfertigen, verängstigten und schüchternen Geschöpfen, die im Grunde nur harmlose Vegetarier sind und leider genau so erbarmungslos gejagt werden.

Schwindende Polpulation
Eine Sonderforschungseinheit des Zentrums für anspruchslose Wissenschaft (ZAW) hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit den weißen Vampiren beschäftigt. Die Nachforschungen ergaben Erstaunliches. So ist die Populationsdichte der weißen Vampire dramatisch gesunken. Noch im Jahre 1950 gab es in Deutschland 40 weiße Vampire, 1736 waren es sogar 5800, wie alte Dokumente belegen – im November 2003 zählte das ZAW nur noch drei vereinzelte Exemplare. Die schwarzen Vampire hingegen verteidigen ihren Anteil von etwa 70 Stück in Deutschland seit den letzten fünf Jahren, sogar mit leicht steigender Tendenz.

Auf Tuchfühlung
Die MSS-Redaktion hat einen der drei verbliebenen weißen Vampire im nordhessischen Reinhardswald aufgespürt. Wir durften ihn einige Monate lang begleiten und haben wunderbare Einblicke in das grauenvolle Leben dieser unterdrückten Art erhalten. Es zeigte sich schnell: Die Angst und die damit verbundene Ausrottung dieser mittlerweile extrem seltenen Art ist vollkommen unbegründet.

Zum einen schaden weiße Vampire keinesfalls der Ernte. Im Gegenteil: Diejenigen, die sich in heimische Gemüsegärten einschleichen, pflegen die vernachlässigten Beetpflanzen, graben den Boden um, mähen Rasen und düngen oft auch seltene Orchideenarten. Auf ein paar Tomaten sollte der jeweilige Kleingärtner verzichten können, denn das wunderbare Gedeihen seiner Pflanzen liegt oftmals nicht an seinem vermeintlich grünen Daumen.

Zum anderen sind weiße Vampire im Geiste dem Menschen gleich, auch, wenn sie weitaus hässlicher sind. Der Weiße Vampir wird in Fachkreisen gerne als die Rückentwicklung der schwarzen Vampire zum Menschen bezeichnet. Einige bekannte Zwischenstadien, die kurz vor dem Menschsein stehen und sich in die Gesellschaft bereits vollends integriert haben, sind die CDU-Politiker Koch und Merkel. Nur zwei Beispiele, dass weiße Vampire im Grunde beliebt und angesehen in unserer Gesellschaft leben könnten, würden veraltete Vorurteile nicht am Leben erhalten und radikal ausgelebt.

Unsere Nachforschungen ergaben außerdem, dass sich weiße Vampire nicht etwa in ekelige Fledermäuse verwandeln, wie ihre Urahnen, und nachts umherflattern (das sollte den Ekel und die Vorurteile noch mehr schwächen). Wie sollten sie auch, denn sie sind tagaktiv – Fledermäuse sind es nicht. Stattdessen verwandeln sie sich bei Bedarf in Schnecken. Durch die fehlenden Ultraschallorgane geschehen dann beim Flug leider grauenvolle Unfälle, die für die weißen Vampire meist tödlich enden.

Traurige Zukunft
Nach Abschluss aller Recherchen mussten wir auf der vergangenen Pressekonferenz feststellen, dass noch viel zu tun ist. So wurden Fragen laut, ob sich weiße Vampire als Haustiere eignen oder ob sie Krebs heilende Stoffe absondern. Dass weiße Vampire nur ganz normale Menschen sind, mit spitzen Zähnen und Pflanzen essend, scheint man nicht akzeptieren zu wollen.

Es wird noch viel Zeit vergehen, bis wir einen weißen Vampir an der Kinokasse, als Busfahrer, Krankenschwester oder als – das wäre wunderbar – Gärtner erleben können. (Aber bloß nicht als Telefonistin, denn die Aussprache ist durch das verzogene Gebiss grauenvoll.) Bis dahin muss eine kleine Gruppe zugeneigter Menschen – zwei Vereine zur Rettung dieser Geschöpfe gibt es bereits – warten und hoffen, dass die letzten weißen Vampire bis zum Zeitpunkt der vollen Akzeptanz überleben werden.